Henter-Touren
2004 Russland, Ukraine, Rumänien


Von St. Petersburg bis Bukarest per Schiff

Während der Reise habe ich (fast) keine emails geschrieben, sondern Notizen gemacht, welche hier gezeigt werden. Aussagen bitte nicht überbewerten, denn "gammeln" kann durchaus eine angenehme Unterhaltung mit Mitreisenden bedeuten.

2004-06-02 DUS, St.Petersburg

1 Uhr. Langsam wird es Zeit den Koffer zu packen. Der Rucksack bleibt diesmal zu Hause, denn bei drei Wochen in der selben Kabine hat er keine Vorteile. Um 2:35 Uhr steige ich in den geliehenen Smart und bretter nach Frankfurt. Die Bahn ist frei und so erreiche ich gegen 5 Uhr den Flughafen. Um 7 Uhr fliegen wir nach Berlin, wo sich die Wege der Phoenix-Gäste wieder trennen: die einen fliegen weiter nach Moskau, die anderen nach St.Petersburg. Der Sicherheitscheck ist mit der Menge überfordert und wir starten mit einer halben Stunde Verspätung um 9:30 Uhr. St.Petersburg ist guasi gleich um die Ecke ...Athen ist weiter. Wir landen kurz nach 13 Uhr, wobei darin zwei Stunden Zeitverschiebung enthalten sind.

Der Flughafen liegt außerhalb, genauso der Hafen der Flußschiffe. Auf dem Weg zum Schiff sehen wir nur die Außenbezirke der Stadt mit ihren "modernen" Wohnviertel aus den 80ern, welche an ähnliche "Plattenbauten" der evwSbZ erinnern. Wie mag wohl das Leben in diesen Wohnungen aussehen? Unser Schiff gibt's gleich "im Dutzend". Aber nur eines hat den Namen MS Taras Schevtschenko. Hilfreich ist die Phoenix-Flagge on top, denn der Name ist in kyrillisch geschrieben. Es sind einfache Schiffe ohne den Luxus der großen Kreuzfahrtschiffe. Auf ca. 1,5 m*4 m ist man um Komfort bemüht. Zunächst gebe ich wie alle anderen meinen Paß ab und bekomme dafür meinen Kabinenschlüssel, den ich bei Landgänge gegen einen Bordausweis tauschen werde. Meine Kabine, eigentlich für zwei gedacht, fülle ich locker alleine: nachdem der Koffer ausgepackt ist, sind alle Schränke, Regale und sonstige Flächen belegt. Zwischendurch gibt es etwas Kaffee und Kuchen, dann geht's weiter im Programm. In diesen ersten Stunden wird der Sitzplatz im Restaurant für die Dauer der Reise festgelegt. Ich bin einer der Wenigen ohne spezielle Wünsche und werde einem 6er-Tisch zugeordnet. Ebenfalls jetzt sind die zusätzlichen Ausflüge in St.Petersburg zu buchen. Auch dies geht bei mir schnell: ich buche alles was angeboten wird, soweit es sich zeitlich nicht überschneidet. Nach einer kurzen Ruhepause folgt das Abendessen, wobei ich erstmals meine Tischgenossen der nächsten Wochen kennen lerne: ein Ehepaar aus Bremen, eins aus Kassel und eine Dame aus Leipzig machen einen netten Eindruck. Natürlich bin ich der Jüngste ...von allen 235 Passagieren und somit auch am Tisch. Nach dem Essen folgt noch ein Orientierungsrundgang durch's Schiff und dann gegen Mitternacht in's Bett.

2004-06-03 St.Petersburg & Puschkin

6:45 Uhr setzt aus den Kabinenlautsprechern leise Musik ein: Wecken. Kurz danach wird der Tag bzw. das anstehende Programm vorgestellt. Nach Dusche und Frühstück geht's um 8:15 Uhr Richtung Puschkin zum Katherinen-Palast. Am 300 m langen blau-weißen Hauptgebäude funkeln die zahlreichen goldenen Verzierungen in der Sonne. Während der Führung lernen wir die Entstehung und Geschichte kennen. Interessanter sind die prunkvollen Räume selber: nach verschiedenen Stilen und Themen gestaltet, komme ich immer wieder in's Staunen. Einer der Räume ist weltbekannt; es ist das Bernsteinzimmer, welches anlässlich des 300. Geburtstag von St.Petersburg mit deutscher Hilfe neu erschaffen wurde. Mh, jetzt soll ich bestimmt etwas dazu schreiben. OK, ganz kurz: nett ...und es gab Räume, welche mir besser gefielen. Es ist das kostbare Material und die unzähligen Sagen, welche den besonderen Reiz ausmachen.

Nach etwas frischer Luft im Palastpark machen wir uns um 12 Uhr auf den Rückweg, wobei wir unser spärliches Lunchpaket verputzen. St.Petersburg, 5 Millionen Einwohner, lange Zeit Hauptstadt des russischen Zarenreich und jeder baute für sich und den Seinen neue Paläste auf den 42 Inseln, welche die Stadt bilden. So erinnert St.Petersburg mit seinen 10% Wasserfläche etwas an Venedig oder Amsterdam. Quasi die Schlagader der Stadt ist der fast 5 km lange Newski-Prospekt. Einkaufs-, Vergnügungs- und Flaniermeile in einem, auf der man zur Rushhour genauso im Stau steht wie um Mitternacht. Die erste Station a la "Alle aussteigen, Foto machen und weiter" verschlafe ich; ich kann gerade noch ein Foto von der Isaak Kathedrale machen. Schlag auf Schlag folgt Sehenswürdigkeit auf Sehenswürdigkeit, welche jeder Reiseführer besser beschreiben kann: Blutkirche, Wassiljewski Insel, Peter-Pauls-Festung mit Kathedrale, die berühmte Aurora usw. usw. Es bleibt kaum Zeit zum Luftholen. Um 17 Uhr sind wir wieder am Schiff. Ich bin müde. Dieses fürchterlich langsame Schlendern der Reiseleiterin war anstrengender als bergsteigen.

Zeit zum Ausruhen ...gibt es nicht. Um 17:30 Uhr wartet schon das Abendessen. Das ist nicht zu früh, denn danach werfe ich mich "in Schale" und steige wieder in den Bus. Um 20 Uhr sitze ich mitten in der Stadt im "Bolshoi Academic Drama Theater on the Fontanka" und schaue mir das Ballet "Schwanensee" an. Es ist eine klassische Aufführung mit schönen Kostümen und Bühnenbild. Mein Favorit ist der Hofnarr, der seine Rolle nicht gut spielt, sondern perfekt lebt. Es scheint eine Ballerina zu sein: Nurzhan Iskaliev. Ich bin begeistert! Irgendwann nach 23 Uhr sind wir wieder zurück. - Die Sonne geht bald unter und ich falle in's Bett.

2004-06-04 Erimitage, Peterhof

Heute werden wir um 7:30 Uhr geweckt. Anderthalb Stunden später geht's wieder in die Stadt. Der Vormittag ist der Ermitage gewidmet. Drei Millionen Ausstellungsobjekte in 400 Sälen verteilt auf ein halbes Dutzend miteinander verbundener Paläste ...unmöglich dies in seiner Gänze zu erfassen. Ist es eher ein Museum in prunkvollen Palästen oder doch ein Palastkomplex mit einer Ausstellung gefüllt? Ich weiß nicht wo ich anfangen soll und wo zuerst hinschauen. In diesen großartigen Räumen sind alle bedeutenden Maler und Bildhauer der Geschichte vertreten, jede Kunstrichtung und Epoche. Ich verzichte auf eine geschwätzige Führung und sause durch die Räume. Nach den viel zu kurzen zwei Stunden, welche uns zur Verfügung standen, habe ich den größeren Teil der ersten Etage "abgelaufen" ...nur ein kleiner Teil der 22 km von Kunstwerk zu Kunstwerk durch Prunksäle und phantastischen Treppenhäusern.

Um 13:30 Uhr erreichen wir Peterhof, rund 30 km westlich an der Ostsee. Hier steht mal kein Gebäude im Mittelpunkt, sondern ein 1000 ha großer Park mit 150 meist figürlichen Fontänen. Die Sonne scheint vom blauen Himmel auf die goldenen Wasserspiele im frühlingsgrünen Park: ein Funkeln und Glitzern aller Orten. Kern bildet eine prachtvolle Kaskade am Palast, welche in einem 400 m langen Kanal, von goldenen Springbrunnen gesäumt, bis zur Ostsee reicht. Auch hier ist die Zeit auf zwei Stunden begrenzt und gegen 17 Uhr sind wir wieder an Bord.

Unser erstes Auslaufen ist für 17:30 Uhr geplant, verzögert sich aber, weil der Papierkram noch nicht fertig ist. Es wird 18:40 Uhr, während wir einen Vortrag bzw. Vorstellung von Reise, Schiff und Ausflügen lauschen. Neben zwei Leuten von Phoenix sind sechs sog. Dolmetscher an Bord, die unser Ansprechpartner sind und uns auf den Ausflügen begleiten: sechs Dolmetscher für sechs Busse. Beim Abendessen werden wir in sechs Gruppen eingeteilt und so bin ich nun in Gruppe 3.

2004-06-05 Seetag

Die einsetzende Musik um 7:30 Uhr überhöre ich absichtlich und drehe mich stattdessen nochmal um. Um 8:45 Uhr heißt es aber aufstehen, denn Frühstück gibt's nur bis halb zehn. Auf Deck schaue ich zu, wie wir gegen 11 Uhr in Mandrogi fest machen. Wir haben "freien Landgang" bis 14:45 Uhr. Ein kurzer Rundgang durch diese Siedlung bestätigt die vorherigen Informationen: es ist ein überdimensionaler Souvenierladen ...sonst nix. So bin ich, nach einem kurzen Telefonat mit Deutschland, nach einer Stunde wieder an Bord (Internet gab's nicht).

Die Zeit bis zum Mittagessen um 13 Uhr verbringe ich in der Panorama-Bar mit Kaffee und der FAZ (vom Hinflug). Nach einer Verdauungsruhe ;-) geht's wieder an Deck: strahlend blauer Himmel, 27 Grad und an den Ufern kleine Holzdörfer in saftigen Mischwäldern. In der Panorama-Bar verquatsche ich mich und schaffe es gerade noch mich umzuziehen und um 18 Uhr beim Kapitänsempfang für Gruppe 1-3 zu sein. Das anschliessende Abendessen ist etwas ausgefallener und ich trinke den ersten Vodka der Reise. In der Panorama-Bar lasse ich den Tag ausklingen.

2004-06-06 Kishi

In den frühen Morgenstunden sind wir an der Insel Kishi angekommen und haben damit den nördlichsten Punkt der Reise erreicht. Wir sind eins von vier Schiffen; die Route St.Petersburg-Moskau ist sehr beliebt. Um 7 Uhr werden wir "wachgeküsst mit unseren Melodien" (O-Ton), welche an WDR4 erinnern. Eine Stunde später stehe ich bereits auf der Insel und werde einer kleinen Gruppe zu einer Führung zugeteilt. Die junge Dame ist eine Erholung: kein Runterspulen von Jahreszahlen und Herrschernamen, sondern ein Überblick über das Leben der Leute in Karelien und offen und kompetent für Detailfragen. Die Insel Kishi ist eine von 1300 im Norden des Onega-See, der zweitgrößte See Europas, kurz vor dem nördlichen Eismeer. An seinem 1500 km langen Ufer leben u.a. Elche und Wölfe. Die leicht hügelige Landschaft mit ihren niedrigen Bäumen, die mit gelbblühendem Löwenzahn übersähten Wiesen und der kalte Wind des bedeckten Himmels, strahlt einen angenehm rauhen Charme aus. Die Sommer sind kurz ...aber schneefrei. Dann steht die Sonne fast 20 Stunden am Himmel. Aber bereits ab Oktober ist der See zugefroren und die Einwohner nur noch mit dem Motorschlitten bzw. per Hubschrauber mit der Außenwelt verbunden. Wir besichtigen das Freiluftmuseum, welches aus einem ursprünglichen Dorf hervor gegangen ist und mit anderen Perlen nordrussischer Holzbaukunst ergänzt wurde. Hauptattraktion ist die Verklärungskirche, eine Holzkirche mit 22 Kuppeln und Ikonen, welche älter als die Kirche sind (1714). Um 10:30 Uhr heisst es: alle Mann an Bord, es geht weiter.

Die obligatorische Alarmübung findet heute um 15:30 Uhr statt. Ich bin vielleicht etwas durch meinen Beruf verwöhnt, denn ich finde es recht chaotisch. Egal, zur Not schwimme ich halt an's Ufer. Nach der Übung wird Russischunterricht angeboten. Nr. 3 (unsere "Gruppenleiterin") ist die Lehrerin. Ich werde hier auf der Reise bestimmt kein Russisch lernen - nur mal schauen. Am Anfang steht das kyrillische Alphabet. Am Ende gibt es Hausaufgaben ...und ich bleibe direkt sitzen um noch etwas Neues zu probieren: der wohl bekannteste Zeitvertreib auf solchen Schiffen ist Bingo. Im ersten Spiel hole ich mit 14 Euro den zweiten Preis bei 2,50 Euro Einsatz. Quintessenz: Bingo ist ein netter Zeitvertreib, jedoch weniger für mich. Nach dem Abendessen werden russische Märchen geboten. Zum Schluß gibt es eine Jux-Geschichte bei der die Passagiere eingebunden werden ...und schon hat's mich erwischt und ich spiele eine Blume. Seit dem späten Nachmittag haben wir den Ontega-See verlassen und passieren in dem Kanal zur Wolga eine Schleuse nach der anderen. So auch um Mitternacht, als ich zu Bett gehe.

2004-06-07 Goritsy

Insgesamt haben uns acht Schleusen auf eine Höhe von 112 m üNN. gehoben (zum Vergleich: Willich liegt 37 m üNN.). Von nun an geht's bergab. Nach dem Frühstück geht's erstmal nach oben in die Sky-Bar. Die Dolmetscher erzählen von "ihrem" Russland: Russland heute, aus privater Sicht und es sind durchaus unterschiedliche Ansichten. Man hat aber den Eindruck, daß der Tiefpunkt durchschritten ist, man sich auf dem Weg zur Demokratie befindet und ein Präsident wie Putin unmöglich all' die schwierigen Aufgaben bewältigen kann.

Mittagessen ist heute schon um 11:45 Uhr, weil der Ausflug zum Kyrill-Beloserski-Kloster um 12:30 Uhr beginnen soll ...was sich dann aber doch bis 13:45 Uhr verzögert. Es ist eine recht große Klosteranlage aus dem 15. Jahrhundert, welche uns auf einer detailierten Führung gezeigt wird. Nach 10 Minuten klinke ich mich aus, erkunde das Kloster selber und gehe dann in den angrenzenden Ort mit 9000 Einwohnern. Zwei Märkte, Wohnstraßen, Park usw. bieten mir Eindrücke zum ersten Besuch in einem russischen Dorf.

Zur Teestunde um 16 Uhr legen wir wieder ab. Der Ostsee-Wolga-Kanal ist auf großen Strecken angestaut und daher stark in der Breite variierent und immer wieder mit Inseln durchsetzt. Die "natürlichen" Ufern sind dicht bewaldet und kleine Lichtungen leuchten mit ihrem hellen Gras in der nachmittaglichen Sonne. Während "Russisch II" geniesse ich immer wieder diesen Anblick. Der Rest des Tages verläuft schon mit einer gewissen Routine. Ob Abendessen, die vielen spontanen Smalltalks oder der Besuch der Decks bzw. Bars, wo ich mein Getränk mittlerweile per "Augenschlag" bestelle: Milch & Zucker sind bereits in "meiner" Menge im Kaffee; fertig gerührt. An diesem Abend besuche ich einen Vortrag über Taras Schevtschenko und Puschkin. Zumindest in der deutschen Fassung werden dies sicherlich nicht meine Lieblingsdichter werden.

2004-06-08 Jaroslawl

Seitdem wir gestern Abend die Doppelschleuse 7&8 passiert haben, hat sich das Ufer verändert. Mehr Wiesen und Felder, mehr Besiedlungen, mehr Laub- statt Nadelbäume... es scheint als hätten wir den wilden Norden Russlands mit seiner unendlichen Weite verlassen. Im Vormittagsprogram interessiert mich nichts so richtig.

Statt dessen beobachte ich die Sonnenfinsternis: statt dem Mond wird die Sonne diesmal von der Venus "verdeckt" und es gibt keinen lebenden Menschen, der dies schon einmal gesehen hat. Durch die Schutzbrille, welche ich noch von der Finsternis am 11. August 1999 habe, beobachte ich den winzigen schwarzen Punkt, welcher sich im Laufe von Stunden über die Sonne schiebt. Ich scheine der Einzige an Bord zu sein, der diesem sehr seltenen Ereignis Beachtung schenkt. In unserem Tagesprogram fand sich dazu ebensowenig ein Hinweis wie zu den täglich sich stark verändernden Sonnenauf- und untergangszeiten. Die Passagiere scheinen (?) sich eher dafür zu interessieren, daß eine Stadt im Laufe ihrer Geschichte zu einem bestimmten Lehnfürstentum gehörte.

Jaroslawl erreichen wir anderthalb Stunden vor der Zeit, macht aber keinen Unterschied: erst wird zu Mittag gegessen. Es folgen vier Stunden Stadtrundfahrt im Kreis, welche man auch als Stadtrundgang hätte anbieten können. Jaroslawl ist (im Zentrum) eine schöne Stadt mit reichlich Baudenkmälern, viel Grün und einer Geschäftigkeit ohne Hektik. Während den Verkaufsveranstaltungen & Führungen durch Kirchen, Klöster etc. setze ich mich immer wieder ab um die umliegenden Straßen und Plätze zu erkunden. Bei 25 Grad im Laufschritt eine schweisstreibende Angelegenheit. Unter anderem habe ich gut zehn Minuten um das erste Mal ein Internet-Cafe (30 Minuten für 20 Rubel) zu benutzen ...in meinem Hauptaccount warten über 200 Mails, überwiegend Spam. Erleichtert sehe ich, daß ich von hier auf meinen PC zu Hause komme. Er läuft also noch und meine FidoNet-Downlinks sind versorgt.

Nach der Rückkehr dusche ich erstmal, gebe meine Wäsche zum Waschen ab und dann Abendessen, Quiz in der Sky-Bar, Smalltalk etc.

2004-06-09 Kostroma

Beim Wecken um 7 Uhr sind wir schon in Kostroma und um 9 Uhr startet mein "Extra"-Ausflug. Bei dieser Reise sind die meisten Ausflüge inklusive, der heutige jedoch nicht. Es ist eine Stadtrundfahrt mit Besuch von ...richtig: Kirchen, Klöster und einem Denkmal. Gegen Ende der vier Stunden haben wir aber genug Zeit über einen örtlichen Markt zu bummeln. Und Süßigkeiten kann man auch ohne Russischkenntnisse kaufen ;-) Der Nachmittag ist zur freien Verfügung, d.h. ich bin wieder in der Stadt. Im Gegensatz zum Vormittag regnet es nun nicht. Ich besuche nochmal die Kathedrale vom Vormittag. Jetzt bin ich dort alleine.

Nach dem Abendessen finde ich meine Wäsche gewaschen und gebügelt in der Kabine. 24 Stunden, nicht schlecht. Nur die Rechnung irritiert mich: 16 Euro, wogegen ich 32 Euro ausgerechnet hatte. Vom Abendprogramm wähle ich den Film "Die Apothekerin" aus und bin dann früh im Bett.

2004-06-10 Nishni Novgorod

Wetter: bedeckt, 14 Grad, Landregen. Ich drehe mich nochmal um und bin erst um 9 Uhr beim Frühstück. Danach "Abhängen" in der Panorama-Bar, also Smalltalk und Konzept für eine SQL-Datenbank. Die Wolga ist hier ca. 1 km breit, kurvenreich und voller Sandbänke. Entsprechend fährt das Schiff, beschleunigen, bremsen, kurven, wieder Fahrt auf nehmen usw.

Nach dem Mittagessen legen wir in Gorky an. Die einstmals für Ausländer verbotene Stadt, welche durch Andrej Sacharow bekannt wurde, heißt heute Nishni Novgorod, 1.4 Mio. Einwohner und Forschungszentrum Russlands. Die Stadtrundfahrt fällt in's Wasser. Strömender Dauerregen bei 11 Grad lassen uns nach drei Stunden gut durchweicht zurück kommen. Währendessen erreicht uns eine Nachricht aus der Heimat: Koblenz, Sonne, 35 Grad, Braunschweig, sonnig, 32 Grad... Wieder an Bord ziehe ich trockene Sachen an, stelle Heizung & Lüftung auf die höchste Stufe, gehe mit einem Buch in die Sky-Bar und trinke heissen Tee.

Während und nach dem Abendessen kommen die Passagiere zurück, welche Mehrtagesausflüge gebucht haben (z.B. Moskau). Es muß interessant aber anstrengend gewesen sein und es werden Klagen über versteckte Kosten laut. Heute war Fronleichnam. Ich sehe es jetzt zufällig im Palm. Und noch etwas bemerke ich: seit ca. gestern verändert sich das Klima an Bord. Es wird heftiger diskutiert, mehr gelästert und eine Zurückhaltung bei brisanten Themen (Religion, Politik etc.) schwindet. Mal sehen ob der Trend unangenehm wird.

2004-06-11 Tscheboksari

Gegen 3 Uhr sind meine Sachen soweit trocken, daß ich die lärmende Lüftung abstellen und die Schuhe vom Heizungsgitter knoten kann. Das Wetter ist und bleibt schlecht, regnerisch, kalt und windig. Der Kapitän spricht von einem Zyklon, der uns in einiger Entfernung bis Samstag begleiten wird. Nach dem (späten) Frühstück gibt's Russisch III als "Zungentraining", danach ein Vortrag "Sitten & Gebräuche in Russland".

Während des Mittagessen legen wir in Tscheboksari an. Bei der Stadtrundfahrt erzählt uns die Fremdenführerin in welchem Haus welche Zarin mal gegessen hat und welche (in Russland) berühmten Personen die Stadt mal besuchten. Mir reicht's! Ich steige irgendwo oberhalb der Stadt aus und gehe zu Fuß weiter ...alleine. Zwei Stunden später habe ich meinen Eindruck von der Stadt: von "Plattenbauten" über alte Holzhäuser, von der Fußgängerzone über Parks, vom Hafen bis zum unbewohnten Wolgaufer. Dann treffe ich zufällig wieder "meine" Gruppe und besuche mit ihnen ein Heimatmuseum bevor ich mich wieder absetze ...Richtung Internet-Cafe. Gar nicht so einfach ohne Sprachkenntnisse, aber die Leute sind sehr freundlich. So fahre ich Trollibus, lerne ein Hotel kennen, eine Baustelle und einen Hinterhof, bevor ich vor einem Monitor sitze.

Kurz vor dem Abendessen bin ich wieder an Bord, es reicht gerade noch für eine Dusche vorher. Danach das Übliche: Smalltalk & Panorama-Bar, wo ich heute meinen zweiten Vodka trinke. War es am Nachmittag für ein paar Stunden trocken, so fängt der Regen nun umso heftiger an.

2004-06-12 Kazan

Um 9 Uhr geht der verlängerte Ausflug für mich los, daher heißt es heute früh aufstehen. Zuerst eine Stadtrundfahrt; es ist trocken und ab und an scheint die Sonne. Wir sind im Reich der Tataren und Kazan ist die Hauptstadt Tatarstans. Der wichtigste Außenhandelspartner ist Deutschland und die Kinder lernen in der Schule Englisch und/oder Deutsch. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei einem Prozent, wird aber doch etwas höher sein. Es geht aufwärts und dabei helfen auch Gastarbeiter aus der Türkei. Finanziell von Vorteil sind bescheidene Erdölvorkommen. Im Jahr 2005 feiert Kazan sein 1000jähriges Jubiläum. Überall wird kräftig gebaut. Die alten, etwas vernachlässigten Holzhäuser im Stadtzentrum werden abgerissen und deren Bewohner/Besitzer bekommen eine schöne neue Wohnung geschenkt ...etwas außerhalb in Wohnsilos. Hier leben über hundert Völker zusammen. Mit fast einem Drittel stellen Russen den größten Fremdenanteil. Es gibt so viele orth. Kirchen wie Moscheen. Geheiratet wird kreuz und quer über alle Volks- und Religionsgrenzen hinweg. Woher all diese und mehr Infos? Es gibt noch gute Fremdenführerinnen.

Wir besuchten eine Moschee, die Altstadt/Festung (Kremel) und fuhren dann auf's Land hinaus. Knapp 40 km vor den Toren der Stadt liegt das Kloster Raifa in einem waldreichen Naturschutzgebiet. Die Führung lasse ich mal wieder Führung sein. Nach einem Rundgang durch's Kloster erkunde ich die Umgebung. Hinter dem Kloster entdecke ich den Ort Raifa. Ältere Holzhäuser und ein paar Steinbauten prägen die straßenlose Siedlung. Dahinter führt ein Weg in den unberührten Wald. Die Zeit wird knapp und nach einem kurzen Spaziergang muß ich wieder zurück. Andere Touristen sehe ich erst wieder im Kloster. Auf der Rückfahrt zum Schiff stoppen wir noch zum Mittagessen in der Stadt. Kurz vor Ablegen sind wir wieder an Bord.

Um 16 Uhr geht's dann weiter. Sind wir bisher südöstlich gefahren, so geht's jetzt nach Süden. Ich werfe mich kurz auf die Koje bevor ich in die Panorama-Bar gehe. Seit heute sind wir zwei Passagiere weniger: Herzinfarkt. Phoenix kümmert sich um gute med. Versorgung und einen schnellen Rücktransport. Ob Servietten-Falten oder Geographie-Quiz... ich lese statt dessen ein Fachbuch über die Projektierung von Internetvorhaben.

2004-06-13 Samara

Die Wolga ist zwischendurch so breit, daß man nur ein Ufer sieht. Zwischen Ostsee und Wolgograd folgt ein Stausee dem anderen und wir werden ein paar Dutzend Schleusen passieren. Heute morgen waren es wieder zwei. Die so erzeugten Seen sind bis 650 km lang und bis 60 km breit ...gigantisch im deutschen Maßstab. Weatherforecast: 17-20 Grad, blauer Himmel und ein paar Wolken. Heute ist auch Sonntag, Europawahl, gestern begann die Fußball-EM und heute ist Halbzeit aka die Hälfte der Schiffsreise ist schon vorbei (und ich habe noch keinen Punkt meiner ToDo-Liste abgearbeitet). Und wir erreichen den östlichsten Punkt unserer Reise: die Uhren an Land sind schon eine Stunde weiter während wir an Bord alles wie bisher weiterlaufen lassen. Im Moment, nach den beiden Schleusen, ist die Wolga recht schmal; vielleicht einen Kilometer. Das westliche Ufer wird zunehmend bergig, das östliche hügelig.

Um 14 Uhr startet unsere Stadtrundfahrt durch Samara, Partnerstadt von Stuttgart. Auch hier wird viel gebaut: Fußgängerzone, U-Bahn, Straßen, Renovierung und Sanierung von Opernhaus bis Stadtpark. Eine Wohnung an der Wolga kostet ca. 1000 USD pro Quadratmeter, am Stadtrand in den Wohnblocks ca. 300 USD. Das durchschnittliche Einkommen beträgt ca. 200 USD pro Monat. Um 17 Uhr legen wir wieder ab. Unsere "Bord-Tenöre", welche auch bei den Geburtstagskinder ein Ständchen singen, bringen am Abend russische Romanzen.

2004-06-14 Saratov

Beim Russisch-Unterricht (ich bin körperlich anwesend) bemerke ich wieder eine Änderung am Ufer: die Wolga ist ca. 2 km breit und die Wälder lichten sich. Um 5 Uhr hatten wir wieder eine Schleuse und nun sind wir am Anfang des Stausees, der bis Wolgograd reicht und eine Breite bis 40 km erreicht. Später zeigt uns Fausto (ein Phönizier) die Tricks der Strassenganoven: Hütchenspiel, Kartenspiel, Kettentrick etc...

Während des Mittagessen legen wir in Saratov an. Die Stadtrundfahrt ist etwas chaotisch, weil die Fremdenführerin äußerst unsicher ist, egal. Die Fußgängerzone und den Markt schafft man auch ohne Anleitung. Es herrscht Hochbetrieb, denn Samstag war Feiertag, der heute nachgeholt wird. Zu kaufen gibt es alles, nur das Geld zum Kaufen fehlt. Das Wetter ist traumhaft, 22 Grad, blauer Himmel mit einzelnen Wolken. Wieder an Bord heisst's duschen, umziehen und Wäsche waschen lassen, bevor zum Abendessen geht.

2004-06-15 Wolgograd

Ein Blick aus dem Fenster zeigt eine veränderte Landschaft im Sonnenlicht: beide Seiten flach, kaum Bäume und das Gras sieht auch nicht mehr so saftig aus. Wir sind in trockenerem Gebiet, keine 200 km von Kasachstan entfernt. Gut für's Wetter, gut für uns, schlecht für die Bewohner. Aus Gewohnheit bin ich nach dem Frühstück bei "Russisch V". Es folgt Geschichtsunterricht von Alexander. Der Typ weiß verdammt viel und bringt es auf einer Weise herüber ...als würde er eine spannende Geschichte am Stammtisch erzählen. Gegen Mittag verlassen wir über eine Doppelschleuse den Wolgograd-Staudamm. Am Horizont wird eine gigantische Figur sichtbar. Während des Mittagessen legen wir an. Ursprünglich sollten wir wegen Niedrigwasser auf Reede liegen, aber es hat doch noch gereicht. Um 14:45 Uhr gehen die sieben Ausflugsbusse.

Wir sind auf historischem Gebiet. Bekannt ist Wolograd auch als Stalingrad. Hier krepierten im Zweiten Weltkrieg innerhalb von 200 Tagen fast 2.000.000 Menschen. Ein unvorstellbares Gemetzel. Straße für Straße, Haus für Haus, Etage für Etage wurde gekämpft. Manchmal waren die Bewohner im Keller, die Russen in den einen und die Deutschen in den anderen Etagen. Mehrmals täglich wechselten die Räume ihren Besitzer ...im Pawlaw-Haus, welches wir auf der Stadtrundfahrt sehen, 27 Mal während den Kämpfen. Am Stadtrand liegt die Höhe 102. Diese höchste Erhebung der Umgebung war besonders stark umkämpft. Heute steht dort eine große, mehrteilige Gedenkstätte. Alles ist sehr beeindruckend, ob die Ewige Flamme oder die trauende Mutter oder oder... Höhepunkt ist die schon erwähnte Figur: Mutter Heimat, mit 86 m Höhe die größte Statue der Welt (zum Vergleich: die New Yoker Freiheitsstatue ist 37 m hoch). Von hier fahren drei Busse raus vor die Tore der Stadt.

Knapp 40 km entfernt liegen Soldatenfriedhöfe; ein sowjetischer und ein deutscher gegenüber. Auf dem deutschen Friedhof liegen in Massengräbern 44.000 Soldaten. Endlos sind die Tafeln mit den Namen. Selbst derart kompakt läßt sich die Anzahl nicht begreifen. Und es sind "nur" 44.000 welche hier liegen ...44.000 von 2.000.000. Viele Mitreisende sind persönlich betroffen. Sie suchen Namen. Der Himmel ist mit bedeckt mit dunklen Wolken, die Stimmung ist gedrückt: "...sie waren Brüder.", "Wie hat Mutter damals geweint!", "...ist auch hier geblieben.", "Er war noch soo jung..."

Ich hatte keine persönliche Beziehung zu Stalingrad und kannte es nur aus dem Geschichtsunterricht ...bis heute. Stalingrad. Der Besuch der schrecklichen Vergangenheit hat keinen ungerührt gelassen. Wieder an Bord spricht jeder über seine Eindrücke und Gefühle, auf Deck, beim Essen, in den Gängen... erst im Laufe des Abends klingen die Gespräche darüber ab.

Um halb neun legen wir ab. Hier ist die Wolga 1 km breit, friert von Mitte Dezember bis April zu und liegt 12 m unter dem Meeresspiegel! Wir haben den tiefsten Punkt unserer Reise erreicht. Die Wolga mündet in's Kaspische Meer; wir wollen aber in's Schwarze Meer. Dazu wechseln wir den Fluß. Nach zwei Stunden Fahrt erreichen wir den Kanal zum Don.

2004-06-16 Iljovka

Wir sind auf dem Weg zum Don. Der Kanal ist 100 km lang und hebt unser Schiff zunächst mit 9 Schleusen von -12,5 m (Wolga) auf 74 m (Hügelkette) um es dann durch 4 Schleusen auf 36 m (Don) abzusenken. Ein Kanal vom Rhein zur Maas quer über die Süchtelner Höhen wäre ein Klacks dagegen! Das Schiff gleitet gemütlich durch relativ ebenes Grasland; der Wind trägt den Duft der Erde hinüber. Die Sonne scheint, 25 Grad, alle Passagiere sind auf den Außendecks und geniessen Wetter und die horizontweite Aussicht.

Mit 3 Stunden Verspätung erreichen wir um 16 Uhr Iljovka. Dort gibt es nix zu sehen, was den Weg in einen Reiseführer finden würde. Es ist eines von vielen Dörfern hier und hat rund 6000 Einwohner. Gute drei Stunden Landgang zur freien Verfügung steht auf dem Programm. Im Dorf sind die meisten Straßen aus Sand. Am Park gibt es einen der Läden, der fast alles hat ...zum Beispiel einen großen Becher Bier zu 10 Rubel. Er wird von den Passagieren gestürmt. Ich durchquere das Dorf und gehe über eine Sandstraße weiter landeinwärts in Richtung Horizont. Links und rechts Steppe, ein paar Blumen, das letzte Grün, Sandboden. In ein paar Wochen wird hier alles verdorrt sein. Die Sonne knallt vom Himmel. Ein kräftiger Wind trocknet den Schweiß. Auf dem Rückweg sehe ich aus der Ferne die letzte Schleuse bevor wir den Don erreichen. Wieder im Ort trinke auch ich ein Bier.

Dann zurück auf's Schiff und laaange duschen. Kurz nach dem Abendessen passieren wir die Schleuse. Wie die erste ist auch diese letzte pompös mit Triumphbogen, einer großen Statue und im Jugendstil dekoriert.

2004-06-17 Flußtag

Heute sind wir den ganzen Tag per Schiff unterwegs. Dazu gibt es eine zusätzliche Mahlzeit am Nachmittag: Tee mit Gebäck. Ansonsten lasse ich die Unterhaltungsangebote aus und lese nochmal "Harry Potter III".

Um 22 Uhr erreichen wir unüberhörbar die Stadt Rostow am Don: die Diskotheken am Flußufer dröhnen bis in meine Kabine. Um 22:30 Uhr bin ich auf Achse (die anderen Passagiere gehen lieber in's Bett). Zunächst am Ufer zurück zu den Diskotheken (gut gefüllt) und an der Don-Brücke (mit einer Tüte Popcorn) die Treppen in die Stadt hoch. Auf den Straßen herrscht noch reger Verkehr, zahlreiche Busse und Taxis sind gut gefüllt und viele Läden haben noch auf ...es ist fast Mitternacht und diese Stadt ist noch quicklebendig. Ich nutze die Gelegenheit und mache einen Supermarkt unsicher. Das Angebot erscheint mir reichhaltiger als bei uns. Die Preise von bekannten Marken (Importware) sind allerdings deutlich höher. Mit einigen Flaschen mir unbekannter Getränke trete ich den Rückweg zum Schiff an.

2004-06-18 Rostow am Don

Um 6:30 Uhr geht der Bordwecker, grrr. Um 8 Uhr starten die Ausflugsbusse zu einer Tour, welche, bis auf einen kurzen Mittagszwischenstop am Schiff, bis 16 Uhr geht. Ich lasse mir mit dem Frühstück Zeit und die Busse fahren. Statt dessen steht "Rostow exclusiv" auf meinem Programm. Am Tag ist noch mehr los. Geschäftige Einkaufsstrassen, große Parks, eine Dauerkirmes, etliche Straßenmärkte, viel Grün überall und das bei herrlichem Frühlingswetter. Die Stadt gefällt mir. Am frühen Nachmittag treffe ich Passagiere, welche den Nachmittag lieber selbst gestalten möchten und wir tauschen uns aus. In einem sind wir uns einig: hier könnten wir noch 'was bleiben!

Aber es hilft nicht; um 17 Uhr geht's weiter Richtung Assovsches Meer, welches wir am Abend erreichen. Auf dem Weg dorthin mache ich mehr Fotos als üblich, denn die Landschaft in dem Licht der späten Sonne...

2004-06-19 Seetag

Kurz nach Mitternacht höre ich viele Leute 'rumlaufen und leise russisch sprechen. Nach einer viertel Stunde ist das Gewusel vorbei. Gegen 5 Uhr werde ich wach. Mein Kopf tippt regelmäßig an's Kopfende der Koje. Wir sind mit unserem "Flußschiff" auf dem Assovschen Meer und dort gibt es größere Wellen als auf der Wolga. Ein kurzer Blick aus dem Fenster und ich schlafe weiter. Nach dem Frühstück dann die Erklärung: es herrschte zeitweilig Seegang Stärke 2 ausgelöst durch einen "Seesturm" ;-)

Auf einem Gang treffe ich Nr.5. Sie bleibt bei ihrem Vorhaben: ich soll irgendwann in einem Sketch als einen Enkel spielen und da ich der Jüngste bin... Mittags ankern wir auf Reede und werden für gut zwei Stunden in unsere Kabinen geschickt, um die Ausreiseformalitäten abzuwickeln. Tja, das war also Russland. Viel gesehen und wenig gesehen. Ein Land, dem es von Tag zu Tag besser geht. Morgen folgt die Ukraine.

Und sonst?

Warum legt das Schiff immer Bug flußaufwärts an? Sonnenuntergang heute? Wetter zu Hause? Niederländische Kolonien? Halskette wirklich echtes Tigerauge? Mathematische Herleitung eines Rätsels? - Der nette Herr Henter mit seinen Büchern und Computer weiß alles ...und das spricht sich 'rum. - Hm, zu schnell, zu extrem ...da sollte ich mal nachdenken, ob das gut ist.

2004-06-20 Jalta

Die Nacht hat's wieder um die Längsachse geschaukelt. Diesmal kräftiger und so habe ich in meiner Kabine ein paar Sachen lieber hingelegt (unnötig, wie ich danach ausrechne: die Vertikalauslenkung beträgt gerade einmal +-1Grad).

Als ich aufstand waren wir schon in Jalta angekommen. Für's Frühstück war's schon zu spät und so bin ich gleich zum Ausflugsbus. Am Ausgang sitzen ukrainische Zöllner. Man bekommt von ihnen nach Vorlage des Passes einen bedruckten Pappstreifen (welchen man bei der Rückkehr wieder ab gibt) und darf die Ukraine betreten - eine schnelle und unkomplizierte Lösung. Der Ausflug führt uns zunächst zu einer Stelle mit Aussicht auf das "Schwalbennest", danach zu dem Gebäude in dem im zweiten Weltkrieg die "Konferenz von Jalta" statt fand.

Nach dem Mittagessen gehe ich durch Jalta. Es ist extrem touristisch aber auch sehr grün. Abends bleibe ich an Bord, bin der Einzige in der Sky-Bar und mache mir Gedanken & Notizen zu diversen Projekten.

2004-06-21 Sewastopol

"Sewastopol & Bahcisaray" heißt unsere Tour nach dem Frühstück. Zunächst geht's nach Bahcisaray. Das ist ein netter Palast aus dem 16. Jhd. eine knappe Stunde entfernt. Die Führung dauert über eine Stunde und ist (mal wieder) unbefriedigend.

Die Ursachen sind immer die gleichen:

Dann ging's zurück nach Sewastopol. Hier gibt es ein Diorama zu bewundern. Es ist kreisförmig und man steht mitten drin. Da der gemalte Hintergrund von einem bekannten Maler erstellt wurde und einen Tag im Krim-Krieg (19. Jhd.) zeigt, wiederholen sich hier die o.g. Punkte. Wartezeiten vor und in dem Gebäude, Gedränge und unendliche Erklärungen. Das beeindruckende Werk auf sich wirken lassen ...unmöglich. Um 14:15 Uhr sind wir zum Mittagessen wieder an Bord, ohne viel von der Stadt gesehen zu haben.

Ich schlinge mein Essen 'runter und habe so noch anderthalb Stunden Zeit mir die Stadt anzusehen, bevor wir ablegen: Uferpromenade, Parks, Markt, eine Schule (das Tor stand offen) usw. Um 17 Uhr letzte Russischstunde, danach Brückenbesichtigung (fast so umfangreich wie auf der Maxim), Abendessen, Geschichtsunterricht...

2004-06-22 Odessa

Am Morgen Stadtrundfahrt in Odessa. Führung und Stadt gefallen mir. Die Stadtzentren im Süden unserer Reise sind sehr grün. Am Nachmittag bin ich wieder in der Stadt, bummel durch die Alleen und finde den größten Markt der Tour. Schweißtreibend ist die Treppe vom Hafen hoch in die Stadt: 192 große Stufen bei 33 Grad. Den Abend "vergammel" ich an Bord.

2004-06-23 Donau-Delta

Der letzte Tag an Bord, der letzte Ausflug, die Sonne scheint, ein schöner Tag... 6 Uhr Wecken, Frühstück, danach sagt mir ein Passagier "Kein schöner Tag heute.". Als er seinen Freund heute morgen wecken wollte, wachte er nicht mehr auf: tot. Als wir am Delta auf Reede gehen, verzögert sich die Freigabe des Schiffes durch die erforderlichen Maßnahmen der Behörden um zwei Stunden.


Um 9 Uhr geht's dann mit hundert Leuten auf ein kleineres Ausflugsschiff, welches uns drei Stunden durch's Donau-Delta fährt. Es ist das größte Schilfgebiet der Erde und das ist das was wir in den Stunden auch sehen: ein Meer aus Schilf bis zum Horizont. Dazu Pelikane, Pferde, Reiher usw. usw. Auf dem Rückweg eine Durchsage: wir mögen bitte auf dem Ausflugsschiff bleiben, von Phoenix käme einer 'rüber um uns weiter zu informieren. Wir sehen, daß unser Schiff eine gelbe Flagge gesetzt hat. Quarantäne?? - Wilde Vermutungen machen die Runde. Aber es geht nur um den geänderten Zeitplan des Tages. Puh, dann ist's ja gut!

Der letzte Tag einer Kreuzfahrt scheint immer "volles Programm" zu sein; so auch diesmal. Rechnungen bezahlen, Mittagessen, russ. Geschichte, umziehen, mein erster Auftritt, restliche Trinkgelder verteilen, Kapitänsdinner, umziehen, mein zweiter Auftritt, umziehen, Folklore Show, Mitternacht, Koffer packen, Koje.

2004-06-24 Constanza, Bukarest

7 Uhr wecken, bis 7:30 Uhr Koffer 'raus stellen, Frühstück, bis 9 Uhr Kabine räumen, zwischendurch immer wieder verabschieden... Bis 10 Uhr sind die meisten abtransportiert. Es bleiben 37 Personen für das Nachprogramm in Bukarest übrig, welche die Hauptstadt Rumäniens kennen lernen wollen. Wir fahren um 13 Uhr nach dem Mittagessen und erreichen ein (anderes als angekündigtes) Hotel gegen 18 Uhr. Im ganzen Land gibt es nur 140 km Autobahn und unsere Fahrt geht über Landstrassen durch die Dörfer. Rumänien ist anders. Man sieht es direkt. Die Menschen sind "modelos" einfach gekleidet. Die Strassen sind staubig, oft ohne befestigten Bürgersteig, die Autos erinnern an Bilder aus der evwSBZ. Wir sind in einem der ärmsten Länder Europas. Und 2007 möchte es der EU beitreten.

Das Zimmer ist OK, die Lage ist katastrophal! Am Rand der Stadt in einem Viertel aus Plattenbauten und mit einem Gewerbegebiet garniert. Wo ist ein Restaurant? Und ein Geldautomat? Ein Internet-Cafe? Ein paar Straßen zum Bummeln? Hier gibt es rein nix und die Rezeption verweist immer auf ein Taxi in die Innenstadt. 20 Minuten hin und 20 Minuten zurück um mal eben am Abend noch 'ne Cola zu trinken? 40 Minuten Fahrt um vor'm Schlaffengehen einmal um den Block schlendern um die Atmosphäre dieser 2,5 Mio. Stadt zu schnuppern? Nein Danke! - Das Nachprogramm schreibe ich als Reinfall ab. Bukarest, es hat nicht sein sollen.

Übermorgen geht erst der Flug. Aber im Hotelfernsehen gibt es BBC World Service. In der Nähe finde ich eine Art Kiosk, kaufe ein paar Sachen und gehe auf's Zimmer.

2004-06-25 Bukarest

Um 9 Uhr startet die Stadtrundfahrt. Unser Reiseleiter stammt aus Siebenbürgen und spricht daher fliessend Deutsch ...und fällt uns positiv auf: Menge und Art der Erläuterungen sind Ok. Eine solch massive Präsents von Plattenbauten mit ihrem desolatem Äußeren habe ich so nirgends auf der Reise gesehen. Sie wurden bei der Industrialisierung notwendig, als nun arbeitslose Bauern zu den Betrieben in die Städte zogen. Nach Ende der kommunistischen Herrschaft konnten die Mieter ihre Wohnungen günstig kaufen und heute befinden sich 80% der Wohnungen in der Hand ehem. Mieter. In der Innenstadt ändert sich der Eindruck gegenüber dem Land (gestern) deutlich: sauberer, auch ausl. Autos, "normaler" gekleidete Menschen usw. Aber trotzdem kein Vergleich zu Russland! Wir besuchen ein paar Orte und ein Freilichtmuseum ...und schon sind über drei Stunden vorüber.

Den Nachmittag vergammele ich: duschen, schlafen, fernsehen, umziehen, lesen... Gegenüber von unserem Hotel ist ein weiteres (Crystal Palace). Andere hatten das dortige Restaurant ausprobiert und mir empfohlen. Also auf zum Abendessen. Es tut richtig gut. Das ist keine Kritik am Essen an Bord, aber es war anders und hier im Hotel schmeckt's eher wie zu Hause.

2004-06-26 Bukarest, FRA, DUS

Heimreisetag, einer der überflüssigsten Tage eines Urlaubes. Lange schlafen, spät frühstücken, etwas fernsehen, Koffer packen und es ist kurz vor zwölf und der Transferbus steht vor der Türe. Am Flughafen geht alles ausgesprochen schnell: von der Ankunft bis zum Warteraum am Gate sind's eine halbe Stunde. Noch zwei Stunden bis zum Abflug. Die erste verbringe ich mit surfen. 500 Mails alleine beim Hauptaccount, wie immer überwiegend Spam. Domain-Check: oh Graus! Mein Rechner steht, eine Domain ist mit fast 2MB Bilder zugemüllt, eine andere enthält allerlei Fehler. Also ist die kommende Nacht "gerettet". Noch 'nen Kaffee, letzter Smalltalk mit den Mitreisenden der letzten Wochen, einsteigen und abheben. Die Flüge Bukarest-Frankfurt-Düsseldorf sind pünktlich. Gegen 20 Uhr bin ich wieder zu Hause.


Bernard Henter, Am Flugfeld 33, 40489 Düsseldorf, Tel 0211-404113, email info@henter.name